IV
Sie kam ins Bad, als Geralt, der nackt in einem kleinen Zuber saß, sich gerade aus einem Kübel mit Wasser übergoss. Er räusperte sich und wandte ihr sittsam den Rücken zu.
»Genier dich nicht«, sagte sie, während sie einen Armvoll Kleidungsstücke über den Kleiderständer warf. »Ich werde beim Anblick eines nackten Mannes nicht ohnmächtig. Triss Merigold, meine Freundin, pflegt zu sagen: Wenn man einen gesehen hat, hat man alle gesehen.«
Er stand auf und schlang sich dabei das Handtuch um die Hüften.
»Eine schöne Narbe.« Yennefer musterte lächelnd seine Brust. »Was war das? Bist du in der Schneidemühle unter eine Säge geraten?«
Er antwortete nicht.
Die Zauberin betrachtete ihn weiter, den Kopf kokett geneigt. »Der erste Hexer, den ich mir aus der Nähe ansehen kann, und das splitterfasernackt. Oho!« Sie beugte sich herab, die Ohren gespitzt. »Ich höre dein Herz. Ein sehr langsamer Rhythmus. Kannst du die Adrenalinproduktion beeinflussen? Ach, entschuldige die berufliche Neugier. Du bist anscheinend erstaunlich empfindlich, wenn es um die Eigenschaften deines eigenen Organismus geht. Du bist es gewohnt, diese Eigenschaften mit Worten zu benennen, die mir gar nicht gefallen, und verfällst dabei in einen bitterbösen Spott, der mir noch weniger behagt.«
Er antwortete nicht.
»Na, genug davon. Mein Bad wird kalt.« Yennefer machte eine Bewegung, als wolle sie den Umhang abwerfen, hielt inne. »Ich werde baden, und du wirst erzählen. So nutzen wir die Zeit. Aber ... Ich will dich nicht verlegen machen, und außerdem kennen wir einander kaum. Und daher, mit Rücksicht auf den Anstand . . .«
»Ich drehe mich um«, schlug er unsicher vor.
»Nein. Ich muss die Augen dessen sehen, mit dem ich rede. Ich habe eine bessere Idee.«
Er hörte, wie sie einen Spruch sagte, spürte, wie das Medaillon erzitterte, und sah, wie der schwarze Umhang langsam zu Boden fiel. Und dann hörte er Wasser platschen.
»Jetzt kann ich deine Augen nicht sehen, Yennefer«, sagte er. »Schade.«
Die unsichtbare Zauberin kicherte, begann im Bottich zu plätschern. »Erzähl.«
Geralt hatte inzwischen mit einiger Mühe die Hosen unterm Handtuch hochgezogen und setzte sich auf die Bank. Während er die Stiefelschnallen schloss, berichtete er von dem Abenteuer am Fluss, wobei er die Beschreibung des Kampfes mit dem Wels auf ein Minimum raffte. Yennefer sah nicht aus wie jemand, der sich für Fischfang interessieren könnte.
Als er an der Stelle war, wo das Wolkenwesen aus dem Gefäß kam, erstarrte der große Schwamm, der das Unsichtbare abwusch.
»Na, na«, hörte er. »Interessant. Ein Dschinn. Ein Flaschengeist.«
»Was denn für ein Dschinn«, widersprach er. »Das war eine Abart von Scharlachdunkel. Irgendeine neue, unbekannte Sorte . . .«
»Eine neue und unbekannte Sorte verdient, irgendwie benannt zu werden«, sprach die unsichtbare Yennefer. »Dschinn ist als Bezeichnung nicht schlechter als andere. Fahr bitte fort.«
Er gehorchte. Die Seife im Bottich schäumte immer mehr, während er weitererzählte, das Wasser schwappte über den Rand. In einem bestimmten Moment fesselte etwas seinen Blick. Er sah genauer hin und bemerkte Umrisse und Formen, die die Seife rings ums Unsichtbare bildete. Die Umrisse und Formen fesselten ihn derart, dass er verstummte.
»Erzähl!«, spornte ihn die Stimme aus dem Nichts, von den Umrissen her an. »Was war weiter?«
»Das war alles«, sagte er. »Ich habe diesen Dschinn, wie du sagst, vertrieben . . .«
»Womit?« Die Schöpfkelle hob sich und goss Wasser aus. Die Seife verschwand, die Formen auch. Geralt seufzte.
»Mit einem Zauberspruch«, sagte er. »Genauer, mit einem Exorzismus.«
»Welchem?« Wieder goss die Schöpfkelle Wasser aus. Der Hexer begann die Bewegungen der Kelle eingehender zu verfolgen, denn auch das Wasser ließ, wenngleich nur für kurze Zeit, dieses und jenes erkennen. Er wiederholte den Spruch und ersetzte dabei gemäß den Sicherheitsgeboten den Vokal »e« durch einen Hauch. Er glaubte, die Zauberin mit der Kenntnis dieser Methode zu beeindrucken, und so wunderte er sich, als aus dem Bottich ein irres Gelächter ertönte.
»Was ist daran komisch?«
»Dieser Exorzismus von dir . . .« Das Handtuch flog vom Haken und begann, den Rest der Umrisse heftig abzutrocknen. »Triss wird Tränen lachen, wenn ich ihr davon erzähle! Wer hat dir das beigebracht, Hexer? Diesen ... Spruch?«
»Eine gewisse Priesterin aus dem Heiligtum der Huldra. Das ist die geheime Tempelsprache . . .«
»Geheim, für wen sie geheim sein soll.« Das Handtuch schlug auf den Rand des Bottichs, Wasser spritzte auf den Boden, die Spuren nackter Fußsohlen zeigten die Schritte der Zauberin. »Das war kein Zauberspruch, Geralt. Ich würde dir auch nicht raten, diese Worte in anderen Heiligtümern zu wiederholen.«
»Wenn es kein Zauberspruch ist, was dann?« Er sah zu, wie zwei schwarze Strümpfe einer nach dem anderen zwei wohlgeformte Beine aus der Luft erstehen ließen.
»Eine scherzhafte Redensart.« Ein paar enge Kniehosen mit Rüschen spannten sich auf reizvolle Weise über das Nichts. »Allerdings etwas anstößig.«
Eine weiße Bluse mit einem großen Jabot in Form einer Blüte fuhr herauf und ließ Formen entstehen. Wie der Hexer bemerkte, trug Yennefer keinen Firlefanz aus Fischbein, der für gewöhnlich von Frauen benutzt wurde. Sie hatte es nicht nötig.
»Was für eine Redensart?«, fragte er.
»Lassen wir das.«
Aus einem auf dem Tisch stehenden vierkantigen Kristallfläschchen sprang der Korken heraus. Im Bad breitete sich der Geruch von Flieder und Stachelbeeren aus. Der Korken beschrieb einen Kreisbogen und sprang an seinen Platz zurück. Die Zauberin knöpfte die Manschetten der Bluse zu, zog den Rock hoch und materialisierte sich.
»Hak mich zu.« Sie wandte ihm den Rücken zu und kämmte sich das Haar mit einem Kamm aus Schildpatt. Wie der Hexer bemerkte, lief der Stiel des Kamms in einen langen und spitzen Dorn aus, der bei Bedarf gut als Stilett dienen konnte.
Er hakte ihr das Kleid ausgesucht langsam zu, ein Heftel nach dem anderen, und erfreute sich am Duft ihres Haars, das schwarz bis zur Mitte des Rückens herabfiel.
»Was das Flaschengeschöpf betrifft«, sagte Yennefer, während sie an den Ohren Brillantringe befestigte, »so liegt auf der Hand, dass nicht dein lächerlicher ›Zauberspruch‹ es zur Flucht gezwungen hat. Der Wahrheit näher kommt wohl der Gedanke, dass es seine Wut an deinem Kumpel ausgelassen hat und abgehauen ist, weil es ihm einfach langweilig wurde.«
»Wahrscheinlich«, stimmte Geralt finster zu. »Denn ich glaube nicht, dass es nach Cidaris geflogen ist, um Valdo Marx den Garaus zu machen.«
»Wer ist Valdo Marx?«
»Ein Troubadour, der meinen Kumpel, ebenfalls Dichter und Musikant, für einen dem Geschmack des Pöbels verfallenen Stümper hält.«
Die Zauberin drehte sich um, ein seltsames Funkeln in den Augen. »Hat es dein Freund etwa geschafft, einen Wunsch auszusprechen?«
»Sogar zwei. Beide fürchterlich dumm. Warum fragst du? Das ist doch offensichtlich Unsinn, diese Wünsche erfüllenden Genien, D’jinnis, Lampengeister . . .«
»Offensichtlich Unsinn«, wiederholte Yennefer lächelnd. »Natürlich. Das sind Hirngespinste, sinnlose Ammenmärchen wie alle Legenden, in denen gute Geister und Feen Wünsche erfüllen. Diese Märchen sind von armen Einfaltspinseln erfunden worden, die nicht einmal im Traum hoffen können, ihre zahlreichen Wünsche durch eigenes Tun zu erfüllen. Es freut mich, dass du nicht zu denen gehörst, Geralt von Riva. Darin bist du mir eine verwandte Seele. Wenn ich einen Wunsch habe, dann träume ich nicht, sondern handle. Und ich bekomme immer, was ich will.«
»Kein Zweifel. Bist du fertig?«
»Ich bin fertig.« Die Zauberin band die Schuhriemchen zu, stand auf. Sogar mit den Absätzen war sie nicht besonders groß. Sie schüttelte ihre Mähne, die, wie er feststellte, trotz dem gründlichen Kämmen ihre malerische, wilde und lockige Unordnung bewahrt hatte.
»Ich habe eine Frage, Geralt. Das Siegel, mit dem die Flasche verschlossen war ... Hat dein Freund es immer noch?«
Der Hexer zögerte. Das Siegel hatte nicht Rittersporn, sondern er selbst, und zwar bei sich. Doch die Erfahrung lehrte, dass man Zauberern nicht zu viel sagen sollte.
»Hmm ... Ich glaube, ja . . .« So täuschte er sie über den Grund seines Zögerns. »Ja, er hat’s wohl. Und? Ist dieses Siegel wichtig?«
»Eine merkwürdige Frage«, antwortete sie scharf, »für einen Hexer, einen Spezialisten für übernatürliche Monstrositäten. Für jemanden, der wissen müsste, dass so ein Siegel derart wichtig ist, dass man es nicht anrühren sollte. Und es auch seinem Freunde nicht erlauben.«
Er biss die Zähne zusammen. Er hatte ins Schwarze getroffen.
»Nun ja.« Yennefer ging zu einem viel freundlicheren Ton über. »Jeder Mensch irrt sich mal, auch Hexer irren sich, wie man sieht. Jeder kann einen Fehler machen. Also, wir können aufbrechen. Wo befindet sich dein Kamerad?«
»Hier in Rinde. Im Hause eines gewissen Errdil. Eines Elfen.«
Sie sah ihn sehr aufmerksam an. »Bei Errdil?«, wiederholte sie. »Ich weiß, wer das ist. Wie ich annehme, hält sich dort auch sein Vetter Chireadan auf?«
»Stimmt. Und was . . .«
»Nichts«, unterbrach sie ihn, hob eine Hand, schloss die Augen. Das Medaillon am Halse des Hexers ruckte, die Kette spannte sich.
An der feuchten Wand des Badezimmers flammte eine helle Kontur auf; sie erinnerte an eine Tür, in deren Rahmen sich ein phosphoreszierendes milchiges Nichts ballte.
Der Hexer fluchte leise. Er mochte keine magischen Portale, und ebensowenig eine Reise mit ihrer Hilfe.
»Müssen wir . . .?«, krächzte er. »Es ist nicht weit . . .«
»Ich kann nicht auf den Straßen dieser Stadt gehen«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Man mag mich hier nicht, sie können mich beschimpfen, mit Steinen nach mir werfen, womöglich auch mit etwas Schlimmerem. Ein paar Leute ruinieren hier mit Erfolg meinen Ruf und glauben, sie könnten das ungestraft tun. Hab keine Angst, meine Portale sind sicher.«
Geralt war einmal Zeuge gewesen, wie durch ein sicheres Portal die Hälfte eines Passanten geflogen kam. Die andere Hälfte war nie gefunden worden. Und er kannte mehrere Fälle, wo jemand in ein Portal getreten war und man nie wieder von ihm gehört hatte.
Die Zauberin strich zum wiederholten Male das Haar zurecht, befestigte einen perlenbestickten Beutel am Gürtel. Der Beutel sah zu klein aus, als dass mehr als ein bisschen Kleingeld und ein Stück Lippenrouge drin sein konnten, doch Geralt wusste, dass es kein gewöhnlicher Beutel war.
»Umarme mich. Fester, ich bin nicht aus Porzellan. Auf geht’s!«
Das Medaillon begann zu vibrieren, etwas blitzte auf, und plötzlich befand sich Geralt in einem schwarzen Nichts, in durchdringender Kälte. Er sah nichts, hörte nichts, fühlte nichts. Die Kälte war das Einzige, was der Verstand wahrnahm.
Er wollte fluchen, kam aber nicht dazu.